Bei der Konferenz in Washington vor zwei Wochen, auf der ich gesprochen habe, war mein Vorredner der Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), Peter Praet, der dem zumeist amerikanischen Publikum zu erklären versuchte, was in der Eurozone von Beginn an schief gelaufen sei. Er präsentierte eine wild zusammengestückelte Geschichte mit dem Tenor, es habe an realer Konvergenz der Mitgliedsländer gefehlt und daraus hätten sich die Ungleichgewichte ergeben. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Zusammenstellung der Zeitschrift „The International Economy“, die 25 international bekannte Ökonomen gefragt hat, was in der Eurozone besser gemacht werden müsste, wenn man die Chance hätte, noch einmal von vorne anzufangen. Dort äußern sich u.a. Hans-Werner Sinn, Jürgen Stark, Otmar Issing und Jörg Asmussen zur Titelfrage. Ich selbst wurde auch gefragt. Meine dort im Heft „Winter 2014“ veröffentlichte Position findet sich am Ende dieses Beitrags in Englisch.
Die fehlende reale Konvergenz der Mitgliedsstaaten ist laut Peter Praet darauf zurückzuführen, dass – wie im neoklassischen Modell vorgesehen – zu Beginn der Europäischen Währungsunion (EWU) Kapital von Ländern mit bereits hoher Grenzproduktivität des Kapitals in Länder mit noch geringer Grenzproduktivität wie etwa Spanien geflossen sei, um dort höhere Erträge zu erzielen. Das sei aber nicht gelungen, die Produktivität sei in diesen Ländern nicht ausreichend gestiegen. Der Grund dafür: Das Kapital sei vorwiegend in den Sektor der nicht-handelbaren Güter geflossen (also vor allem die Bauwirtschaft), wo keine Produktivitätssteigerung zu erzielen war, die einen Renditevorsprung erlaubt hätte. Weil aber die Löhne in diesen Ländern wegen des Baubooms gestiegen seien, hätten diese Länder an Wettbewerbsfähigkeit verloren, was sich in den europäischen Ungleichgewichten spiegele.
Deutschland kommt in dieser Geschichte nicht explizit vor. Das wird offenbar auch gar nicht für nötig befunden, weil in den Augen der EZB klar ist, dass Deutschland alles richtig gemacht hat.
Ich will das nicht weiter vertiefen (man kann sich die ganze wirre Geschichte auf der entsprechenden Seite des Levy-Instituts anhören). Es ist nur interessant, auf welche Weise das präsentiert wird und worauf es schließen lässt. In meinen Augen ist die einzig sinnvolle Deutung, dass man sich in der EZB entschlossen hat, einer Theorie zu folgen, in der Deutschland mit keinem Wort vorkommt und auf keinen Fall jemals kritisch angesprochen wird. Vermutlich fürchtet man neben der theoretischen Verwirrung, dass nach den politischen Turbulenzen um ausgeschiedene deutsche Mitglieder des Direktoriums (Jürgen Stark und Axel Weber) jede Kritik der EZB an Deutschland die Verhältnisse weiter erschwert und die EZB in Deutschland zu einer Institution non grata macht. Die politische Holzhackermethode, mit der sich die deutschen Medien und viele deutsche Politiker mit der Zentralbank und anderen Institutionen „auseinandersetzen“, zeitigt große Erfolge. Wo kein Kläger, da auch kein Beklagter. Weil man in Deutschland weiß, dass man Kritik von Seiten einer Institution wie der EZB nicht einfach beiseite schieben könnte, ist es besser, von vornherein allen potenziellen Kritikern auf unmissverständliche Weise zu zeigen, wer das Sagen hat.
Das wird natürlich im täglichen Geschäft dadurch erleichtert, dass die alten Zentralbank-Kämpen wie Issing und Stark dauernd irgendwo auf den Putz hauen und jeden Fehler Deutschlands mit Empörung von sich weisen. Etwas subtiler macht das Hans-Werner Sinn, der inzwischen explizit von der Wettbewerbsfähigkeits-Krise der Südländer spricht (so in seinem Beitrag in International Economics), die durch Kostensenkung dort bekämpft werden müsse. Issing hingegen sagt einfach, man habe die Unterschiede der Länder („eleven vastly heterogeneous countries”) unterschätzt, was auch auf reale Divergenz hinauslaufe. Stark sagt, die Währungsunion sei „zu früh“ gekommen für viele Länder. Auf seine Art subtil (in einem ansonsten vollkommen konfusen Beitrag) bringt auch Jörg Asmussen dieses Argument, wenn er davon spricht, reale Konvergenz sei nicht erreicht worden, was man daran sähe, dass die Produktivität und die Wettbewerbsfähigkeit auseinandergelaufen sind. Deswegen, so beschließt er seine Auflistung realer Divergenzen, hätte man besser die realen Lohnstückkosten und das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf als Kriterien für die Aufnahme in die Währungsunion gewählt. Das ist natürlich völliger Blödsinn, weil die Ursache für die Handelsungleichgewichte in der EWU die nominalen Lohnstückkosten sind (die realen Lohnstückkosten sind eine Lohnquote, also ein Verteilungsmaß) und das Pro-Kopf-Einkommen für die Handelsungleichgewichte vollkommen belanglos ist.
Die Sache hat aber – bei aller Konfusion im Einzelnen – System, weil man mit der Betonung der realen Konvergenz bzw. Divergenz mindestens drei Fliegen mit einer Klappe schlägt. Erstens verbreitet man, nicht anders als die AfD, die Auffassung, der Ausbruch der Eurokrise sei praktisch unvermeidbar gewesen, weil die reale Divergenz ja offensichtlich war und ist. Womit man sich selbst aus der Schusslinie nimmt, denn wenn es nun mal die objektiven Gegebenheiten waren, dann kann ja ein kleiner Politiker und Notenbanker in Deutschland nichts falsch gemacht haben. Man reiht sich dann fein ein in die Phalanx derjenigen, die schon immer wussten, dass es schief gehen muss, die aber den anderen, den ärmeren Ländern, eine Chance geben wollten, sich an Deutschland anzupassen.
Zweitens suggeriert die Konzentration auf das Thema ‘reale Konvergenz’, dass andere verantwortlich sind für die Krise als die Geldpolitiker. Denn die Notenbanker sind ja nur für die Abteilung Nominales zuständig. Drittens trifft sich die anscheinend fehlende, aber für eine Währungsunion angeblich dringend benötigte reale Konvergenz in vieler Hinsicht mit der platten und falschen Auffassung, es fehle in Europa einfach an dem politischen Willen, die europäische Einigung weiter zu bringen, bzw. an der mangelnden Bereitschaft zu Anfang der 90er Jahre, zeitgleich mit der EWU eine politische Union zu beschließen.
Mit all diesen Argumenten hat man das Problem auf die politische Schiene geschoben und weg von den Technokraten, die natürlich nie einen Fehler gemacht haben und deren Weltvorstellung immer vollkommen richtig war. Das ist ein plumper Versuch, das Dogma zu retten, wonach die Geldpolitik allein für die Preisstabilität verantwortlich ist, während die anderen für die realen Probleme gerade zu stehen haben.
Nein, es war die nominale Konvergenz, die falsch gelaufen ist in der EWU, und Deutschland war mit seinem Lohndumping die wichtigste und treibende Kraft für die gravierenden Ungleichgewichte, die entstanden sind. Diese Ungleichgewichte sind nominale Phänomene, sie entstehen, wenn in einer Währungsunion die Preisniveaus von Volkswirtschaften auseinanderlaufen, und sie können nur korrigiert werden, wenn sich die Preise und Lohnstückkosten wieder angleichen. Damit das ohne Deflation funktionieren kann, müssen in Deutschland die Löhne wieder wesentlich stärker zulegen als in den letzten fünfzehn Jahren und die Scheinerfolge des Lohndumpings müssen explizit aufgegeben werden.
Wenn Notenbanker und solche Leute, die Notenbanker verteidigen, das nicht sehen oder nicht sehen wollen, zeigen sie nur, dass ihnen das vom Gesetzgeber vorgegebene und von ihnen selbst hochgehaltene Ziel der Preisstabilität weit weniger wichtig ist als die Verteidigung ihrer ideologischen Dogmen.
Mein Beitrag für „The International Economy“:
IMPROVING THE EURO
Indeed, I have been an economic policy leader at the end oft he 1990s and I tried my best to prevent those events that are called the euro crisis now. In particular, I had a very clear vision of the diverging and eventually lethal forces that were implanted into the currency union by the German attempt – under enormous pressure from the government – to go for the neoclassical experiment of cutting wages. I pushed for a coordination mechanism that would allow bringing wage developments in line with the commonly agreed inflation target of close to two per cent. And that coordination mechanism, called the macroeconomic dialogue, was installed at a European summit in Spring 1999, but it was ignored by the leading politicians as well as by the monetarist technocrats in the European Central Bank (ECB) and the bureaucrats in the European Commission, who were strong believers in neoclassical economics and the virtue of wage cuts.
A monetary union, contrary to what many critics today and at the outset of EMU hold, doesn’t ask for countries of similar strength and similar productivity. But it asks for the adjustment of wages to the national productivity trend and the commonly agreed inflation target. Unit labour costs at the national level had to grow in line with the inflation target set by the ECB. This simple and straightforward rule was violated by Germany more than by any other country. Germany undershot the target, the countries in the South overshot. France was the only country fully in line with the target. The resulting real depreciation of Germany and the real appreciation of the rest was the nucleus of the crisis and it will destroy the Eurozone if Germany is not willing to destroy its weaponry. Germany has to encourage an increase of wages and a rate of inflation that amounts to a real appreciation instead of forcing the others to opt for deflationary wage policies to achieve a real depreciation.
A common currency in the heart of Europe replacing a system of fixed exchange rate was a very good idea. It ended German dominance in terms of monetary policy and allowed a common monetary policy for countries that had sacrificed their national monetary policies long time ago. But the exercise was lousily managed. If exchange rates are no longer available the most important task of economic policy is to avoid a divergence of unit labour costs and the implied real depreciations and appreciations. This is the core of the matter. Government debt and public deficits are a marginal affair but all the political energy was wasted there while the core was ignored. EMU could have been a success story. But if I had known about the managerial shortcomings I would have recommended the continuation and improvement of the system of fixed, but adjustable exchange rates. Giving up national currencies and being driven by the major economic force into an overvaluation is the worst of many bad outcomes.