“First best” – so bezeichnet man die beste aller Lösungen. Danach kommt second best, third best usw. Willi Kolls Beitrag von gestern ist unbedingt zuzustimmen: Die first-best-Lösung der Eurokrise bestünde – der Konjunktiv steht hier vorsätzlich – darin, die “seit Beginn der Eurozone verfehlte nationale wie europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik” durch eine “bessere Politik” zu ersetzen. Willi Koll zählt mehrere Elemente einer solchen besseren Politik auf, die vor allem auf einen Wachstumsimpuls für die Krisenländer hinauslaufen. “Mehr Investitionen sind die Schlüsselgröße.” schreibt Willi Koll, und auch damit liegt er vollkommen richtig.
Nur, wie kommt man da hin? Wie bringt man aus einer schweren Rezession heraus eine Steigerung der Kapazitätsauslastung zustande, die private Investoren zu mehr Sachinvestitionen bewegt? Auch darauf gibt der Autor eine Antwort, er nennt – und zwar völlig zu Recht an erster Stelle – die Löhne: “Von der Rentabilität wie von der Nachfrageseite her gesehen angemessene Löhne gehören dazu”. Mit ‘angemessen’ ist die Einhaltung der goldenen Lohnregel gemeint, die dem zwiespältigen Charakter der Löhne als Kostenfaktor einerseits und als Nachfragefaktor andererseits Rechnung trägt.
Und genau an dieser Stelle setzt meine Kritik an. Willi Koll verweist darauf, dass andere Lösungen als diese first best-Lösung ihrerseits Kosten verursachen, Kosten, die nur schwer zu kalkulieren seien und wohl über denen der first best-Lösung lägen (daher hat die first best-Lösung ja ihren Namen). Wohl wahr. Aber die für die Europapolitik Verantwortlichen befassen sich in keiner Weise mit der first best-Lösung, d.h. nicht mit dem, was notwendig für den Erhalt des Euro wäre: erstens mit einer nicht-deflationären Angleichung der Lohnstückkostenniveaus zwischen den EWU-Ländern, was eine deutsche Lohnpolitik erforderte, die gesamtwirtschaftlich Zuwächse von 5% bei den Stundenlöhnen zustande brächte (alle deflationären Wege der Angleichung in Südeuropa führen, wie man sieht, zu Depression); und zweitens mit einer scharfen Regulierung der Finanzmärkte, die zur Wiederbelebung der Wirksamkeit der Geldpolitik unumgänglich ist. Denn dass derzeit jegliche noch so expansive Geldpolitik in spekulative Preisblasen (z.B. auf den Aktien-, Rohstoff- und Immobilienmärkten) mündet, also in erster Linie das Finanzkasino am Leben erhält, bestenfalls noch Betongold produziert, aber nicht zu produktiven realen Sachinvestitionen hier und andernorts anregt, kann man angesichts der Investitionsdaten nur nur schwer in Abrede stellen.
Ich habe inzwischen die Hoffnung aufgegeben, dass in Berlin, Frankfurt und Brüssel innerhalb der nächsten zwei Jahre ein grundsätzliches Umdenken einsetzt, so dass eine Lösung im Sinne von Willi Koll auch nur im Ansatz auf den Weg gebracht werden könnte, geschweige denn schon Resultate zeitigen könnte, die den Südeuropäern eine positive Perspektive bieten. Gleichzeitig schätze ich die materielle Not der Arbeitslosen, ihrer Familien, der Rentner und Kranken in Südeuropa und deren Wut auf die Politik so groß ein, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie diese Gesellschaften einen zwei weitere Jahre übersteigenden Zeitraum in geordneter, demokratischer und gewaltfreier Weise überstehen sollen. Mit anderen Worten: Ich sehe einen von der wirtschaftlichen Katastrophe heraufbeschworenen politischen Sturm sich zusammenbrauen.
Will man diesen Sturm, wenn man ihn denn schon nicht ganz verhindern kann, wenigstens abmildern, genügt es nicht mehr, die utopische first best-Lösung zu skizzieren. Man muss sich, so wenig einem das auch schmecken mag, realistische second best-Lösungen überlegen. Wie die aussehen können, was second und was eher third best oder gar nicht mehr gut ist, darüber lässt sich streiten, das ist keine Frage. Und dass solche Überlegungen große Unsicherheitsfaktoren enthalten, würde ich nie in Abrede stellen.
Aber wie ist es bei einem großflächigen Brand in einem einzigartigen Naturschutzgebiet? Wenn kein Wasser zum Löschen zur Verfügung steht bzw. gestellt wird, müssen eben breite Schneisen geschlagen, tiefe Gräben um das Feuer herum gezogen und damit wertvolle Bäume geopfert werden. Natürlich kann man sich dabei irren und die Windrichtung, die die Feuerfront voran treibt, falsch einschätzen. Aber das ist noch keine gute Begründung, weiter auf Verhandlungen mit denjenigen zu setzen, die auf den Wasservorräten hocken, und das Feuer ansonsten wüten zu lassen.
Dass meine Einschätzung der Lage keine völlig spinnerte Einzelmeinung ist, entnehme ich so mancher Leserzuschrift. Hier sei ein Leser zitiert, der uns auf Englisch geschrieben hat:
“With interest I read Herr Koll’s contribution today, which reflected a strange mix between realistic, accurate analysis and naive idealism. Yes, as has been exhibited on flassbeck economics for the past years, it is indeed demonstrably so that it is not the Euro an sich but a failed institutional framework and beggar-thy-neighbour national wage policies that have caused the crisis. Eurozone austerity policy is the most important driver of the deepening crisis. Indeed, expansion in the core is what is sorely lacking and what would be needed, next to investment in the periphery, to revive Eurozone economies whilst staying in the Euro.
Mr. Koll argues that whilst the costs of the current policy mix are gargantuan, the consequences of a Euro-exit would be so unsure that one cannot argue for it:
“Solange nicht nachvollziehbar zu begründen ist, dass ein Austritt eindeutig die wirtschaftlichere Alternative ist, spricht alles dafür, eine Wiederbelebung der Wachstumsdynamik unter Verbleib in der Eurozone anzustreben.”
I would like to ask Mr. Koll two questions: one, does he honestly believe a coordinated solution involving coordinated core expansion and investment is realistic, certainly when considering the enormous Merkel victory, their uncompromising stance and the commitment of their potential coalition partners to a course of fiscal retrenchment and internal devaluation? Mr. Koll, arguing for muddling-through in the Eurozone, obviously sees chances for a policy U-turn. His rationale eludes me. Second, and assuming a policy reverse is not politically feasible, when would a Euro-exit then be justifiable? Recognizing that the immediate consequences and side-effects will always be unsure, your answer would seem to be: never. I would like some clarification on his stance in the face of the political facts.”