Ich wurde gerade am vergangenen Wochenende wieder darauf angesprochen, dass von Lobbyisten der Wirtschaft immer noch behauptet wird, die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse hätten nichts mit den deutschen Lohndumping zu tun, sondern wären vorwiegend der Tatsache zuzuschreiben, dass die deutschen Produkte von so hoher Qualität seien, dass sie sich einfach gut verkaufen.
So eine Behauptung von Seiten der Lobbyisten ist wirklich absurd. Gerade die Wirtschaftsvertreter, die sonst von der Marktwirtschaft in den höchsten Tönen schwärmen, haben offenbar überhaupt nicht verstanden, was Marktwirtschaft bedeutet. Viele der von der Lobby in die Mangel genommenen tun sich allerdings recht schwer mit diesem Argument, weswegen ich noch einmal erläutern will, warum die Qualität der Produkte nichts mit den deutschen Exporterfolgen zu tun hat.
In jeder halbwegs funktionierenden Marktwirtschaft hat jedes Produkt den Preis, der seiner Qualität entspricht. Wer ein qualitativ hochwertigeres Produkt als seine Konkurrenz erzeugt, muss dafür etwas zahlen in Form von zusätzlichen Arbeitsstunden oder besserem und teurerem Material. Mit gutem Marketing mag man auch einmal ein schwaches Konsumprodukt teuer verkaufen, auf Dauer und in hochprofessionellen Märkten wie beim Maschinenbau wird das nicht gelingen. Qualitätsmäßig hochwertige Produkte sind regelmäßig teurer als Produkte von geringerer Qualität. Wer das bestreitet, muss behaupten, die gesamte Konkurrenz bestehe aus Idioten, die nicht wissen, wie man das gleiche Produkt ohne zusätzliche Kosten auch besser herstellen kann.
Wenn allerdings ein hochwertiges Produkt gegenüber einem billigen Produkt dadurch günstiger wird, dass die Löhne bei seiner Produktion weniger steigen als anderswo, wird der Preis künstlich gedrückt und entspricht nicht mehr der Relation der unterschiedlichen Qualitäten. Folglich wird das qualitätsmäßig bessere Produkt vermehrt gekauft, selbst wenn es absolut noch teurer sein sollte als das weniger gute.
Hinzu kommt noch ein zweites Argument hilfsweise für diejenigen, die das erste nicht überzeugt. Es geht beim deutschen Leistungsbilanzsaldo darum, eine ziemlich dramatische Veränderung zu erklären, nämlich die Bewegung von einer ausgeglichenen Leistungsbilanz zu einem hohen Überschuss. Folglich muss man Faktoren identifizieren, die sich im Zeitablauf passend zum Leistungsbilanzsaldo verändert haben. Bei den Lohnstückkosten in Relation zum Rest der Welt und zu den europäischen Handelspartnern ist das unmittelbar zu erkennen. Wie aber verbessert ein ganzes Land auf einmal die Qualität seiner Produkte? Bei einem einzelnen Unternehmen kann man sich ja noch vorstellen, dass es sich am Riemen reißt und eine Qualitätsoffensive startet. Aber wie macht das die gesamte Industrie, wie geht das zur gleichen Zeit und wer hat in Deutschland dafür den Anstoß gegeben?
Das Argument mit der Qualität ist von ähnlicher Qualität wie das vor einiger Zeit von einer Professorin der LMU München (Dalia Marin) vorgebrachte, nachdem Deutschland nicht Exportweltmeister sei, weil es Lohnzurückhaltung geübt habe, sondern weil es Weltmeister in der Organisation von Produktionsabläufen sei. Dafür zog sie sogar die protestantische Ethik heran, die erkläre, warum man in Deutschland weniger autoritär arbeite und weniger hierarchische Strukturen habe, denn das sei ein überlegenes Geschäftsmodell.
Wie beim Qualitätsargument fragt man sich, warum Deutschland mit diesem Geschäftsmodell erst in der Europäischen Währungsunion erfolgreich war, während es kurz vorher noch als der kranke Mann Europas galt. Auch damals schon herrschte in manchen Teilen Deutschlands eine protestantische Ethik vor. Auch könnte man sich fragen, warum dieses grandiose Geschäftsmodell oder der Qualitätswettbewerb nur im Export erfolgreich ist und nicht auch den deutschen Binnenmarkt zum Blühen bringt. Ganz interessant wäre auch die Erörterung der Frage, warum ein Land, das über ein so erfolgreiches Organisationsmodell oder über so hohe Qualität verfügt, auch noch Lohnzurückhaltung übt. Das ist doch offensichtlich dumm. Ein solches Land könnte ja sein Organisationstalent und seine Qualität dazu nutzen, um trotz hoher Löhne im Ausland erfolgreich zu sein, was ihm zudem noch einen blühenden Binnenmarkt bescheren würde.