In Zeiten hoher Unsicherheit muss die Politik sich auf wenige stabile Muster in den sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen besinnen, um zur Verminderung der Unsicherheit beizutragen. Aber auch das ist schwer, weil es eine derartige Vollbremsung und einen Schock dieser Art noch nie gegeben hat.
Ab morgen stehen große Teile der Wirtschaft in Europa und in einigen anderen Regionen einfach still, weil die Regierungen eine Minimierung der sozialen Kontakte jedes einzelnen Menschen erreichen wollen und auch die wirtschaftliche Interaktion berührt wird. Das ist Angebots- und Nachfrageschock zugleich und beinhaltet die Möglichkeit von einschneidenden finanziellen Rückwirkungen. Momentan bauen die europäischen Regierungen auf die chinesische Strategie, bei der es durch radikale Maßnahmen zunächst gelungen ist, die Verbreitung des Virus deutlich zu verlangsamen.
Die Politik hat kaum eine andere Wahl, weil es derzeit kein anderes ähnlich wahrscheinliches Szenario gibt, auf das man jetzt schon reagieren könnte. Auch in diesem Szenario, das mit einem Gesamtverlauf von zwei bis drei Monaten überschaubar ist, sind die Wirkungen auf die Wirtschaft gravierend, aber durchaus zu handhaben. Wenn ein Drittel der Wirtschaft für zwei Monate einen Totalausfall seiner Produktion verzeichnet, sind das schon um die fünf Prozent Rückgang der Wirtschaftsleistung. Kommen einige weniger direkt betroffene Bereiche hinzu, die ihre Produktion lediglich einschränken müssen, erreicht man leicht einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes von zehn Prozent.
Ein mildes Szenario
Das hätte normalerweise dramatische Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit, aber deren Anstieg kann man durch Kurzarbeit und andere Maßnahmen abfedern. Den besonders betroffenen Unternehmen sollte man, so wie die Bundesregierung das schon beschlossen hat, durch unbegrenzte und praktisch ungeprüfte staatliche Kredite helfen, die wenigen kritischen Monate zu überleben. Dennoch wird eine solche vorübergehende Krise weitgehend von den Unternehmen aufgefangen, die erhebliche Gewinneinbußen hinnehmen müssen. Die meisten Unternehmen können eine solche Schwächephase jedoch mit staatlicher Unterstützung durchhalten. Das gilt auch für die Arbeitnehmer, wenngleich es am unteren Ende der Lohnskala zu Härten kommen kann, die gesondert abgefedert werden sollten.
Eine solche zwei- bis dreimonatige Krise kann man in der Tat ohne allzu große Verwerfungen überstehen. Die Wirtschaft hält gewissermaßen den Atem an und kehrt zu den alten Verhaltensweisen zurück, sobald die Luft im wahrsten Sinne des Wortes wieder rein ist. Problematisch wird es, wenn, wie in einigen Regionen schon zu beobachten, Hamsterkäufe überhand nehmen, die wiederum schwerwiegende Preisreaktionen nach sich ziehen. Das muss schleunigst durch Mengenbegrenzung bei den kritischen Produkten unterbunden werden.
Ein mildes Szenario ist aus jetziger Sicht die wahrscheinlichste Variante und es ist kaum möglich und auch nicht besonders sinnvoll, zu diesem Zeitpunkt schon mit weit schlimmeren Varianten in der Öffentlichkeit zu hantieren. In China ist es immerhin gelungen, in einer extrem dicht besiedelten Umgebung (Wuhan hat zehn Millionen Einwohner) eine viel größere ursprüngliche Verbreitung (also die, die zum Zeitpunkt des energischen Handelns der Regierung bekannt war) zu stoppen. Das schließt eine zweite Welle von Infektionen sicher nicht aus, zeigt aber, dass eine Verzögerungstaktik angemessen ist. Selbst wenn die Maßnahmen in den westlichen Demokratien nur langsam angelaufen sind, spricht doch vieles dafür, dass es auch in Europa in den nächsten Tagen und Wochen zu einer deutlichen Abflachung der Kurve der Neuinfektionen kommt.
Dass die Börsen auch in einem solchen (milden) Szenario weiterhin Achterbahn fahren, ist zu erwarten. Die Bewegungen an diesen Märkten darf man zwar nicht überbewerten, aber es wäre am besten, die Börsen und große Teile des Finanzkasinos in ganz Europa in der nächsten Woche ebenfalls zu schließen und erst wieder aufzumachen, wenn sich die Verhältnisse normalisiert haben. Die zusätzliche Hektik und Verunsicherung, die von diesen „Spielplätzen“ ausgeht, braucht man wirklich nicht.
Coronakrise ist nicht vergleichbar
Was derzeit auch nicht hilft, sind die immer stärker aufkeimenden „Hoffnungen“, mit dieser Krise werde die Klimakrise gleich mitgelöst, weil die Menschen nun doch begreifen müssten, dass die gesamte Art des Wirtschaftens nicht nachhaltig ist. Wer das glaubt, kann nur grandios enttäuscht werden. Der wichtigste Preis, auf den es bei der Klimafrage ankommt, ist in dieser Krise in die falsche Richtung gegangen. Der Preis für Öl ist absolut gesehen so billig wie schon lange nicht mehr und hat mit 35 US-Dollar in Relation zu den Einkommen der Masse der Verbraucher den niedrigsten Stand seit vielen Jahrzehnten erreicht.
Bei der Corona-Krise geht es um das kurzfristige Zurückfahren von wirtschaftlichen Aktivitäten, weil die sozialen Kontakte verringert werden sollen und Lieferketten unterbrochen sind. Bei der Klimafrage geht es um langfristige Verhaltensänderungen, die von einer Verknappung und Verteuerung der fossilen Energieträger ausgehen muss, soll sie erfolgreich sein. In der Corona-Krise riskiert der Staat bewusst die Existenz von Arbeitsplätzen und Einkommen und gleicht das durch seinen vollen Einsatz als Garant der Stabilität aus. Bei der Klimakrise muss man wirtschaftliche Einbrüche vermeiden und einen raschen und langfristig verlässlichen Strukturwandel anstreben. Beide Krisen haben unmittelbar nichts miteinander zu tun und sollten jetzt auch nicht vermengt werden.
Dennoch müssen aus der Corona-Krise Schlussfolgerungen für das wirtschaftliche und soziale Zusammenleben auf der ganzen Welt gezogen werden. Zunächst zeigt die Krise, wie unabdingbar global agierende Institutionen wie die WHO (die Weltgesundheitsorganisation) in einer wirtschaftlich so eng verflochtenen Welt sind. Auch werden die Staaten, deren gewählte Regierungen letztlich verantwortlich sind, ernsthaft überlegen müssen, ob in Zukunft alle Produkte der Gesundheitsvorsorge, die für solche Notfälle gebraucht werden, wie jedes andere Produkt im Ausland erzeugt werden können oder dochteilweise vor Ort produziert werden müssen. Es zeigt sich eben, dass man sich nicht einfach auf die Solidarität der Nachbarländer verlassen kann. Auch grundsätzlich muss man darüber nachdenken, ob das Ausmaß der globalen Vernetzung der Produktion angesichts solcher potentieller Gesundheitsrisiken noch sinnvoll ist.
Die ersten wirtschaftspolitischen Fehler sind schon gemacht
Die Bundesregierung hat mit ihrem ersten großen Schritt, der unbegrenzten Kreditgarantie für betroffene Unternehmen, vollkommen richtig reagiert. Der zweite Schritt muss es aber sein, dies unbürokratisch zu handhaben und auch bei Rückzahlungsproblemen in großem Maßstab großzügig vorzugehen. Die Schließung von Läden und Dienstleistungsunternehmen muss zudem rasch gelockert werden, sobald belastbare Daten über einen deutlichen Rückgang der Neuinfektionen vorliegen.
Entscheidend für die europäischen Auswirkungen der Krise wird sein, dass in Deutschland endlich verstanden wird, in welch schlechter wirtschaftlicher Situation sich Italien und Frankreich schon vor der Corona-Krise ohne eigene Schuld befunden haben. Es wird schon jetzt wieder davon geredet (so die SZ vom 13. 3.), diese Länder hätten den „langen Aufschwung“ nicht genutzt, um ihre Staatshaushalte zu sanieren. Das ist dummes Zeug, weil es den langen Aufschwung dort niemals gegeben hat. Europa hat vorwiegend wegen seiner unangemessenen fiskalischen Regeln diesen globalen Aufschwung nicht genutzt und gerät jetzt in eine globale Krise. Insbesondere die politischen Verhältnisse in Italien könnten sich jetzt dramatisch schnell wandeln, wenn der Rest Europas erneut mit den altbekannten Vorurteilen über das Land herzieht.
Ein gravierendes Missverständnis liegt auch der Stellungnahme der EZB-Präsidentin von vergangener Woche zugrunde, die offenbar glaubt, die EZB sei für die langfristigen Zinsen der Mitgliedstaaten und die Abstände zwischen den Zinsen verschiedener Mitgliedsstaaten (den spreads) nicht zuständig. Doch, genau dafür ist die EZB zuständig – und nicht nur in Krisenzeiten, sondern immer. Weil auf den Kapitalmärkten ohne jede Rationalität agiert wird, darf die EZB diesen Märkten niemals das Feld überlassen. Dass das auch heute, nach all den Erfahrungen der vergangenen Jahre, die Berater von Frau Lagarde nicht wissen, ist mehr als schockierend.
Diese Krise zeigt wie viele andere Krisen zuvor, dass jede Gesellschaft einen handlungsfähigen und kompetenten Staat braucht. Die liberale Vorstellung vom permanent klein zu haltenden Staat erweisen sich wieder einmal als absurd. Sie zeigt auch, dass die Privatisierung aller Lebensbereiche keineswegs sinnvoll ist, weil private Betreiber von Gesundheitseinrichtungen nicht bereit sind, teure Kapazitäten vorzuhalten, die nur im Krisenfall benötigt werden. Jetzt muss die ganze Wirtschaft heruntergebremst werden, um die technischen und personellen Kapazitäten in den Krankenhäusern, die privatisierungsbedingt auf Kante genäht sind, nicht übermäßig zu beanspruchen. Das ist kurzfristig die einzige Möglichkeit, um mit Engpässen zurecht zu kommen, kann aber kein Modell für die Zukunft sein.
Kein Ausblick möglich
Bei der derzeitigen Unsicherheit ist es nicht möglich, über den Tag hinaus zu schauen. Niemand kann mit ausreichender Sicherheit vorhersehen, ob die jetzt in Gang gesetzten Maßnahmen wirklich ausreichen, die Verbreitung des Virus zu verlangsamen oder ob nachgebessert werden muss. Deswegen ist es auch sehr problematisch, jetzt Horrorszenarien oder überhaupt viele neue Szenarien in die Welt zu setzen. Wenn zwei Monate nicht ausreichen, kann man auch vier Monate in der gleichen Weise überbrücken. Was danach geschieht, muss man dann entscheiden, wenn man mehr Informationen zur Verfügung hat.